Ein Korruptionsskandal in Brasilien lähmt Politik und Wirtschaft. Nach Massenprotesten steht die Regierung zunehmend in der Kritik und das Land ist geteilter denn je, befindet Niklas Franzen.
"Ein Meer aus Grün und Gelb“. So feierte die konservative Presse den Protest hunderttausender BrasilianerInnen, die am 15. März eingehüllt in die Nationalfarben durch die Städte zogen. Rechte Gruppen hatten zu den größten Demonstrationen seit dem Ende der Militärdiktatur aufgerufen.
Die Polizei bezifferte die landesweite TeilnehmerInnenzahl im Nachhinein auf 1,6 Millionen. Damit wurden alle Erwartungen bei weitem übertroffen. Die brasilianische Regierung stürzte jener Tag hingegen noch tiefer in die Krise. Seitdem hören die Proteste nicht auf. Auch am 12. April etwa demonstrierten wieder Hundertausende.
Im Oktober 2014 war Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) in der Stichwahl gegen Aécio Neves, den Kandidaten der rechtsliberalen Partei PSDB, im Amt bestätigt worden. Bereits im Wahlkampf hatten sich die beiden Lager mit einer für Brasilien unüblichen Aggressivität bekriegt. AnhängerInnen der Parteien lieferten sich erbitterte virtuelle Schlachten in sozialen Netzwerken, Freundschaften bei Facebook wurden nach politischen Diskussionen aufgekündigt. Doch auch abseits des Internets zeigte die Rechte ihre Kampfbereitschaft. „Für Brasilien ist eine derart aggressive Rechte völlig neu“, sagt der brasilianische Philosophieprofessor Paulo Arantes.
Zurück zur Diktatur. Ironischerweise gingen auch ultrarechte Kräfte und und in Tarnfarben gekleidete Militaristen am 15. März auf die Straße. In São Paulo forderte Carlos Alberto Augusto, rechte Hand des berüchtigten Folterers der Militärdiktatur, Sérgio Fleury, unter tosendem Beifall eine Rückkehr der Armee an die Macht. Zynische Pointe: An genau jenem Tag endete vor 30 Jahren die blutige Militärdiktatur. Die Proteste als reine „Putschversuche“ abzustempeln ist angesichts der hohen Zahl an TeilnehmerInnen und der Heterogenität der Demonstrierenden allerdings zu kurz gedacht.
Einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Datafolha zufolge trieb vor allem der Skandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras die BrasilianerInnen auf die Straße. Etliche Spitzenpolitiker der PT und ihrer Koalitionspartner werden beschuldigt, jahrelang Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe von dem Energieriesen erhalten zu haben, der als Rückgrat der brasilianischen Wirtschaft gilt. Im Zuge der „lava jato“ („Autowäsche“) getauften Ermittlungen wurden in den vergangenen Monaten mehrere ManagerInnen wegen Bestechung verhaftet. Nun hat der Oberste Gerichtshof grünes Licht für die Ermittlungen gegen 49 Tatverdächtige aus der Politik gegeben.
Neben den Korruptionsvorwürfen heizt die marode Wirtschaftslage die Wut vieler BrasilianerInnen an. Nachdem die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr nur leicht anstieg, rechnen ExpertInnen für dieses Jahr sogar mit einem leichten Rückgang. Die jährliche Inflationsrate von derzeit 7,7 Prozent ist so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr, die Landeswährung Real hat stark an Wert verloren.
Zwei Fronten. Die brasilianische Opposition hofft auf einen „dritten Wahlgang“ in Form eines Amtsenthebungsverfahrens. Schon einmal wurde ein brasilianisches Staatsoberhaupt so zu Fall gebracht: 1992 wurde der damalige Präsident Fernando Collor de Mello ebenfalls der Korruption bezichtigt und nach landesweiten Massenprotesten vom Kongress abgesetzt. Da den jüngsten Ermittlungsberichten zufolge allerdings kein Verdacht gegen Präsidentin Rousseff im Petrobras-Skandal vorliegt, seien die Forderungen nach Amtsenthebung mit Aufrufen zum Staatsstreich gleichzusetzen, betonen PT-PolitikerInnen.
Unmittelbar nach den Protesten vom 15. März verkündeten RegierungsvertreterInnen in einer live im Fernsehen übertragenen Ansprache, dass ein Antikorruptionsgesetz im Kongress eingebracht werde. Auch Rousseff versprach weitgehende Reformen. Nichtsdestotrotz sind die Popularitätswerte der 67-Jährigen auf 23 Prozent, einen historischen Tiefstand, gefallen. Kommunikationsminister Thomas Traumann attestierte in einem Schreiben, dass sich das Land im „politischen Chaos“ befinde. Eine extreme Polarisierung bestimmt weiterhin das politische Klima im Land.
Ruck nach rechts. Zwar beschwört die Rechte regelmäßig ein „neues Kuba“ in Brasilien herauf, doch ist die Politik der PT alles andere als sozialistisch. Sozialprogramme, wie das von Ex-Präsident Lula da Silva initiierte „Bolsa Família“ („Familienzuschuss“), werden zwar weitergeführt, jedoch setzt Rousseff den unternehmerfreundlichen Kurs ihrer ersten Amtszeit fort, und die Privilegien der traditionellen Eliten werden in keiner Weise angetastet. „Bereits seit Beginn der zweiten Amtszeit von Rousseff hat sich diese Regierung mit Sparprogrammen und der Durchsetzung von Forderungen der rechten Opposition weiter nach rechts orientiert“, erklärt der Soziologe André Vereta Nahoum.
Damit scheinen auch die seit langer Zeit geforderten strukturellen politischen Reformen in weiter Ferne. Insbesondere eine Veränderung der Parteienfinanzierung wäre jedoch unabdingbar, um die Korruption einzudämmen.
In den kommenden Wochen sind weitere Proteste der Rechten geplant. Dass es ihr damit gelingen wird, Dilma Rousseff aus dem Amt zu jagen, ist zu bezweifeln. Das gesellschaftliche Klima im Land haben die rechten Kräfte aber bereits jetzt nachhaltig verändert.
Niklas Franzen ist Journalist mit Schwerpunkt Brasilien und lebt in Berlin und São Paulo. Er ist Redaktionsmitglied der Lateinamerika Nachrichten und schreibt für verschiedene deutschsprachige Medien, unter anderem amerika21 und Jungle World.
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